Niemals, nicht einmal in den fürchterlichsten Albträumen hätte ich es je für möglich gehalten, dass sich die Menschheit im Jahr 2020 so widerspruchslos, ja fast apathisch jeglicher Grundrechte binnen weniger Wochen berauben lässt. Meinungsfreiheit, freies Denken und das Recht auf sachlichen Widerspruch einem gotthörigen Obrigkeitsdenken aus dem letzten Jahrhundert geopfert wird. Nein, es geht nicht um die Ausgangsbeschränkungen, es geht ums Denken.
Ich halt still, wenn Kurz es will – zumindest physisch.
Aber denken wird man ja wohl noch dürfen. Kritik an den notstandsstaatlichen Maßnahmen, dem Chaos um die Almosenpakete, oder der leise Hinweis auf Besonnenheit und Augenmaß im Interesse des wirtschaftlichen Überleben des gesamten Staates im pawlow‘schen Beissreflex von der Solidargemeinschaft der angstinfizierten Hypochonder sofort als Landes- und Hochverrat qualifiziert wird. Selbst in den kühnsten Träumen hätte ich es niemals gewagt zu glauben, dass der unter Zuhilfenahme der regelrecht eingeimpften Hysterie verordnete solidarische Zusammenhalt der Gesellschaft tatsächlich wieder zu einer Kollektivierung der Dummheit, zu einer geistigen Selbstaufgabe der einst Aufgeklärten und Kritischen führt. Hüte Dich vor den Iden des März, an dem das christlich-soziale Grundprinzip „Hände falten, Goschen halten“ endlich eine gesamtstaatliche Entfaltung, unter dem Beifall des einst kritischen Journalismus und der Willfährigkeit eines sich in Schockstarre befindlichen Parlaments erfährt. Da offenbart sich die österreichische Mentalität der Duckmäusertums und der Unselbstständigkeit wie es doch verachtenswerter nicht sein könnte. Achselzuckend, sich regelrecht aufgebend, wird still und leise zur Kenntnis genommen, wenn fleißigen und anständigen Unternehmern das seit 1950, seit 70 Jahren gesetzlich verbriefte Recht genommen wird, im Krisenfall voll entschädigt zu werden. Heute müssen sich unschuldige Menschen bei Bürokraten anstellen, um mit einigen Euros abgespeist zu werden. Sozialpartner klopfen sich auf die Schenkel, wenn Kurzarbeit hunderttausendfach verordnet wird und die Betriebe sich erst durch das Dickicht der Formulare wühlen müssen, um am Ende wiederrum mehrere Monate Gehälter bei eingebrochenen Umsätzen vorzufinanzieren. Kinderfotos werden gepostet, wenn Hunderttausende Menschen die Arbeitsämter stürmen, weil ihre Arbeitgeber von heute auf morgen vor dem Ende ihrer wirtschaftlichen Existenz stehen. Während das Volk sich vor den Fernsehgeräten, stundenweise durch die unkritische Medienorgel des Staates bespaßen lässt, rittert die Mehrheit unseres Landes, die tragenden Säulen unserer Wirtschaft und damit unseres Sozialsystems, ums Überleben. Blockwarte begegnen einem im Netz, die vorschreiben, wie wer zu denken, zu leben hat. Kritik an einem zu Tode gesparten Gesundheitssystem, der reihenweisen Schließung der Spitäler während der letzten Jahrzehnte, an einem vom Ausland abhängigen Pflegesystem, an den sozialen Ungerechtigkeiten der Entlohnungen im Gesundheits- und Pflegebereich, wird einem schon fast als mangelnder Patriotismus, ja als Nestbeschmutzung ausgelegt. Täglich arbeiten Nahrungsmittelhändler, Bauern, Polizisten, Feuerwehrleute, Zahnärzte, Pflegehelfer, Straßenkehrer, Bauarbeiter, Ärzte, Bus- und Taxifahrer und viele andere Berufsgruppen, teils ungeschützt an erster Front. Der Nationalrat halbiert sich derweil aus Angst vor Corona. Mutige Helden residieren am Wiener Ring. Liebe Leute: Wir werden dieses Corona überwinden aber die wahre Herausforderung, noch zu retten was zu retten ist, beginnt am Tag 1 nach dem Wahnsinn. Und auch um dem geistigen Wiederaufbau einer lethargischen Bevölkerung, einer unkritischen und leicht führbaren Masse von Lemmingen, wird man sich widmen müssen. Der polnische Lyriker Stanislaw Jerzy Lec sagte einst: „Die Verfassung eines Staates soll so sein, dass sie die Verfassung des Bürger nicht ruiniert.“